Eine kurze Geschichte meiner Welt in sehr kleinen Teilen.

Der Roman


Gott ist kein Zigarettenautomat Matthias Gerhards
Knaus Verlag 2013
ISBN: 978-3-8135-0550-4

Die Presse:
“eine beachtliche, stilsichere und höchst unterhaltsame Schelmen-, Underdog- und Coming-of-Age-Geschichte”
FAZ 10.12.13

"Bücher die der Verlag als witzig anpreist, sind es meistens nicht. Dieses schon."
Playboy Okt. 13

"ein herzergreifend poetisches Buch, ohne schnulzig zu sein... ein witziges Buch, ohne flach oder geschmacklos zu sein."
www.stagecat.de

"Ein beeindruckender, ergreifender, dichter Coming-of-Age Roman, der die 80er Jahre aufleben lässt..." Evangelisches Literaturportal Jan 2014

neuere Beiträge

Der Philosoph

Erwähnte ich an dieser Stelle bereits, dass ich Philosophie studiert habe? Das ist keineswegs ein brotloses Studium, wie Elsa Laska behauptet. Man lernt dort Fertigkeiten, die man in allen Lebenslagen gut gebrauchen kann:
  1. Sich kompliziert auszudrücken, wenn man nichts zu sagen hat.
  2. Zu erkennen, dass die Meisten, die sich kompliziert ausdrücken, nichts zu sagen haben.
  3. Den Inhalt einer einfachen Sache zu begreifen, die sehr kompliziert ausgedrückt wird.
  4. Zu verstehen, dass die meisten Dinge auf dieser Welt einfache Sachen sind, die nur zu kompliziert ausgedrückt werden.
  5. Diese Erkenntnis für sich zu behalten.
Kurz und gut: Ich wurde Manager.
Matthias Gerhards 25. Jan, 22:25 | 10 Kommentare - Kommentar verfassen

Der aPod 2 (100% analog)

apodUnglaublich: 700.000 Stunden Batterielaufzeit. Fast unbegrenzte Speicherkapazität. 100% Hörgenuss in allen Lebenslagen. Absolut stoßfest und wasserabweisend. Leider ohne Selbstreinigungsautomatik. Auch einen power down sucht man vergeblich.

Zwei Modelle erhältlich: aPod 2m(ännlich), aPod 2w(eiblich).

aPod 2m hat mehr Power, brummt aber gelegentlich. aPod 2w ist leichter, hat aber einen besseren Sound und das elegantere Design. Leider ist die Menüführung so kompliziert, dass es die Tester kaum geschafft haben, die Grundfunktionen zu finden.
Matthias Gerhards 24. Jan, 23:17 | 0 Kommentare - Kommentar verfassen

Schreiben und Zeit

Das Schreiben und die Zeit stehen in einem sehr eigentümlichen Verhältnis zueinander. Es scheint eine festgelegte Menge von guten Sätzen zu geben, die man an einem Tag produzieren kann. Sie ist unteilbar und lässt sich nicht vergrößern.
Natürlich kann man mehr Text verfassen, wenn man genügen Zeit hat. Aber am Abend wird man die Hälfte nicht mehr mögen. Man wird Adjektive streichen und Formulierungen verwerfen. Man wird sich fragen, wie man jemals etwas so einfallsloses zur Papier bringen konnte. Nachdem man die Schnörkel entfernt hat, bleiben wieder nur jene drei oder vielleicht fünft Seiten übrig. Die Ausbeute eines Tages.
Matthias Gerhards 24. Jan, 22:45 | 2 Kommentare - Kommentar verfassen

Trauriges Mädchen

Heute saß mir ein weinendes Mädchen gegenüber. Sie war in ihrer Trauer so wunderschön, dass ich sie am liebsten sofort getröstet hätte. Ist es nicht unmenschlich wie sehr uns die Schönheit einens Menschen beeinflußt? Bei einem hässlichen Mädchen, hätte ich vermutlich auch bloß aus dem Fenster geschaut. So wie meine Mitreisenden, als mir vor einigen Tagen Frank McCourt auf die Tränensdrüse drückte.
Matthias Gerhards 22. Jan, 23:46 | 6 Kommentare - Kommentar verfassen

Traurigste Kindheit

Ich war ein unglückliches Kind. Anders als Frau Lehner, die so treffend ihre glückliche Kindheit beweint. Dennoch bin ich heute ein glücklicher Erwachsener geworden. Nur macht mich mein eigenes Glück jetzt traurig, weil ihm irgendwie die Tiefe fehlt, die das Unglück besaß.
Matthias Gerhards 20. Jan, 19:55 | 7 Kommentare - Kommentar verfassen

a perfect storm

Dieser Sturm hat mich seltsam glücklich gemacht. Ich war fast versucht hinauszugehen um zu prüfen, ob es mir gelingen würde, mich auf den Beinen zu halten. An einem sicheren Ort ein Unwetter zu beobachten, gibt mir immer ein Gefühl der Geborgenheit. Es erinnert mich an meine Kindheit. Damals besaßen wir noch eine Schafherde. Ich habe die Viecher gehaßt. Aber wenn meine Brüder und ich von einem Herbsturm überrascht wurden, zogen uns in einen Strohschober zurück. Dort war es warm und windstill und wir konnten die Herde beobachten, die schweigend auf dem Feld stand. Die Tiere hatten eine einfache Methode einem Problem aus dem Weg zu gegen. Sie warteten einfach bis es vorbei war.
Matthias Gerhards 19. Jan, 16:59 | 6 Kommentare - Kommentar verfassen

Die allerneusten Gadgets

abookWie immer hinke ich meiner Zeit ein wenig hinterher. Aber inzwischen ist auch bei mir der Trend zum Gadget angekommen. Man bringt seine Persönlich nicht mehr mit Worten, Kleidung oder Porsche zum Ausdruck, sondern durch den Kauf von mehr oder minder nützlichen technischen Spielereien. Deshalb will ich der Welt meine Gadgets (deutsch: Geräte) nicht länger vorenthalten:

Das aBook (analog Buch)
Dieses unschlagbar robuste PocketBook verfügt über 240 Seiten aus echtem Papier, die mit je 1000 Zeichen gefüllt werden können. Damit besitzt es eine Speicherkapazität von rund 500 KB. Das ist zwar nicht gerade üppig. Aber dafür ist 100% wireless und kommt sogar ohne Stromkabel aus. Eine absolute technische Neuheit. Es ist wasserabweisend, wiegt nur 80 g, ist stoßfest bis 300 m Fallhöhe und kann gefahrlos in jedem Flugzeug eingesetzt werden. Der perfekte Reisebegleiter.
Matthias Gerhards 19. Jan, 07:26 | 2 Kommentare - Kommentar verfassen

Das literarische Gen

Manchmal frage ich mich, ob es eine genetische Veranlagung für das Schreiben gibt? Ist es ein direktes Ergebnis der Evolution oder nur ein Nebenprodukt, das zufällig entstanden ist. Etwa als Seiteneffekt anderer wirklich sinnvoller Fähigkeiten, wie Maden aus einem Loch zu pulen, die Fährte eines Beutetieres zu lesen oder Bilder an die Höhlenwände zu malen, um die Weiber zu beeindrucken. Hatte das Schreiben einen direkten Einfluss auf die Überlebensfähigkeit des Menschen? Sicher nicht. Wilde Tiere und feindliche Stämme lassen sich mit Poesie schwerlich in die Flucht schlagen.

schrift-arabisch

Für eine Gesellschaft insgesamt bedeutet die Schrift einen ungeheuren Vorteil. Nachrichten können verlustfrei übermittelt werden. Die soziale Identität kann dauerhaft festgehalten werden und ist nicht mehr auf mündlich überlieferte Mythen angewiesen. Regeln und Herrschaftsansprüche lassen sich formulieren und fixieren. Und eine Verwaltung ohne die Kunst des Schreibens ist schlichtweg undenkbar. Nicht umsonst wurde das erste Buchstabenalphabet zu einer Zeit erfunden, als die großen dauerhaften Weltreiche der Antike entstehen. Schreiben sichert Kontinuität. Es überwindet den Tod und das lausige Gedächtnis.

Aber im täglichen Überlebenskampf eines einzelnen Menschen ist Schreiben ungefähr so bedeutungsvoll wie saubere Fingernägel. Nicht umsonst gilt es deshalb als Kulturtechnik. Aber wie entsteht eine solche Technik, die dem Individuum auf den ersten Blick wenig bringt? Denn schließlich waren die Erfinder der Frühzeit darauf angewiesen, ihren eigenen Vorteil zu suchen, um am Ende nicht mit leerem Magen da zu stehen. Gibt es doch ein schreibendes Gen, weil anders unsere Kultur nicht zu erklären ist?

Dagegen spricht, dass die Schrift relativ spät erfunden wurde. In den Höhlen von Altamira finden sich zwar Bilder, aber keine Zeichen. Was aber sicherlich zu den angeborenen Eigenarten des Menschen gehört, ist die Fähigkeit, die Welt als Bedeutungsraum zu betrachten. Alles was uns umgibt versuchten wir mit Sinn zu füllen. Dieser Drang ist so stark, dass ihm auch gänzlich bedeutungslose und unzusammenhängende Dinge unterliegen. Wie anders ist der Glauben an einen gütigen Gott, den Sozialismus oder an die New Economy zu erklären.

Aber auch eine Fährte ist natürlich ein System von Bedeutungen, das mühsam erlernt werden muss. Ein Zeichensystem. Jäger und Sammlerkulturen unterstützen ihre Gespräche und die Planung ihre Beutezüge durch Skizzen, die in den Sand geritzt werden. Dabei verwenden Sie immer die gleichen Symbole für bestimmte Tiere. Von diesen Zeichen bis zu den Buchstaben, ist es sicherlich ein weiter Weg. Aber sie sind ein Anfang. Auch wenn es vielleicht kein literarisches Gen gibt, ist Schreiben doch das Ergebnis eines angeborenen Bedürfnisses. Es geht zurück auf unseren Zwang, die Welt um uns herum zum Ausdruck zu bringen und sie dadurch mit Bedeutung zu füllen. Das gleiche gilt auch für die Literatur.
Matthias Gerhards 16. Jan, 22:22 | 2 Kommentare - Kommentar verfassen

Kinder machen dick

Ich bin kein weichherziger Mensch. Aber seitdem ich Kinder habe, beginne ich sentimental zu werden. Insbesondere kann ich es nicht mehr ertragen, wenn Kinder zu Schaden kommen. Weder in Büchern, noch in Filmen und schon gar nicht im Leben.

Kürzlich saß ich in der Straßenbahn und las die ersten Seiten von Frank McCourts „Die Asche meiner Mutter“. Als seine kleine Schwester starb, musste ich weinen. Zuerst waren es nur ein paar feuchte Augen, aber bald wurden richtige Tränen daraus. Meine Sitznachbarn warfen mir Seitenblicke zu, als wäre ich ein gefährliches Tier. Als sie einsahen, dass ich vermutlich nicht beißen würde, versuchten sie durch mich hindurch zu schauen. Nur eine alte Frau, lächelte mich an. Sie saß einige Plätze weiter vorn. Als sie ausstieg, sah ich, dass ihr ein kleiner Hund folgte. Er war so dick, dass er kaum laufen konnte.
Matthias Gerhards 15. Jan, 22:53 | 2 Kommentare - Kommentar verfassen

Die Worte des Maklers oder die Poesie der unsichtbaren Dinge

Die moderne Welt hat keine Verwendung mehr für Poesie. Der dichterische Ausdruck finden seinen Niederschlag nur noch in zwei Dingen: In der Werbung zwischen den Geschlechtern und in den Exposés der Immobilien Makler.

Denn die literarische Form eignet sich wie keine zweite Kunst dazu, die Welt aus der richtigen Perspektive zu beschreiben. Betritt man die Orte des Geschehens dann, kommt es in der Regel zu einem eigentümlichen Schrumpfungsprozess. Das Poetische wird auf sein Normalmaß zurechtgestutzt. Das ist besonders schmerzlich bei der Oberweite von Frauen und bei Häusern, in deren sprachliche Schönheit man sich bereits verliebt hat. Mit anderen Worten: Meine Liebe und ich haben wieder eine Runde im endlosen Kampf um ein besseres Dasein eingeläutet.

Die Wohnung, um die es dieses Mal ging, lag malerisch in einem alten Gehöft. Ein Fachwerkhaus. Es besaß so viele Quadratmeter, dass mir schon beim Anblick der Zahl schwindelig zu werden drohte. Zimmer waren reichlich vorhanden. Es gab ein angegliedertes Atelier und die Ausstattung klang äußerst luxuriös. Der Hof lag eingebettet in eine fruchtbare Landschaft und war von laubfeuchten Wäldern umgeben. Es war das Traumdomizil schlechthin. So jedenfalls drückte sich das Exposé aus.

Der Aufprall auf die Realität war dafür umso härter. Die Diskrepanz zwischen Wort und Welt war derart groß, dass ich zuerst dachte, ich hätte mich in der Adresse geirrt. Ein etwas peinlich berührter Verwalter führte uns durch zwei baufällige Garagen, die weder die beschriebene Anzahl von Räumen noch aufwiesen, noch in irgendeiner Weise als menschliche Behausung taugten.

Als ich nach ungefähr zehn Sekunden einwarf, dass dies hier doch unbewohnbar sei, lächelte er gequält und sagte: „Ich bin froh, dass Sie so ruhig bleiben. Die Meisten haben ganz anders reagiert.“ Für einen Moment dachte ich an die dreißigminütige Anfahrt mit zwei quengeligen Kindern, einer Babyschale, einem Kindersitz sowie einem Buggy, einigen Decken und ein paar Vorräten. Aber ich bin im Grunde meines Herzens ein friedlicher Mensch.

Etwas mitfühlend erkundigte ich mich nach dem Geisteszustand des Besitzers, der schließlich den Text formuliert hatte. Dabei erfuhr ich, dass der angebliche Verwalter, eigentlich nur der Mieter des einzigen bewohnbaren Hauses auf diesem Hof war. Der Vermieter lebe auf Ibiza und sei bereits seit Jahren nicht mehr hier gewesen. Früher habe alles ganz anders ausgesehen. Sein Bruder verwalte die Objekte. Der Mann war also nicht verrückt, sondern nur ahnungslos.

Am nächsten Tag schrieb er uns eine Mail. Er erkundigte er sich, ob uns sein Objekt gefallen hätte. Aber bis jetzt haben wir es noch nicht geschafft eine adäquate Antwort zu formulieren.
Matthias Gerhards 11. Jan, 23:29 | 8 Kommentare - Kommentar verfassen

Das Korrekturexemplar

Darf ich vorstellen? Das Korrekturexemplar im A4 Querformat. In Heimarbeit zu einem Taschenbuch gelumbeckt.
leseexemplar_01
Ist erstaunlich einfach und haltbar. Aus mir selbst unerfindlichen Gründen kann ich neuerdings einen Text nur schwer von seiner Erscheinungsform trennen. Der Satzspiegel, die Type und die ganze Art wie diese Gebilde des Geistes in die Welt kommt, bedeutet mir plötzlich etwas.
leseexemplar_00 Früher habe ich immer gedacht, Bibliophile sind Leute, die unanständige Sachen in Bibliotheken anstellen. Als Umschlag hat das Märzblatt (gerade muss ich an den gleichnamigen Hasen denken) aus einem Monet-Kalender herhalten müssen, den die Weihnachtsbrandung in unsere Wohnung gespült hat.
Matthias Gerhards 8. Jan, 22:16 | 6 Kommentare - Kommentar verfassen

Man muss sich zwingen.

Jetzt weiß ich wieder, weshalb ich ein notorischer Autofahrer geworden bin. In der Eisenbahn ist es, als würde man zurück geworfen in die eigene Kindheit. Man ist wieder Teil einer Schicksalsgemeinschaft und muss sich den Sitz mit den Anderen teilen. Es gibt ein immerwährendes Gezänk über die einfachsten Dinge. Gesetzte Herren streiten sich über die Koffer im Gang. Damen mokieren die Füße auf den Polstern. Eine Gruppe Senioren debattiert darüber, wer am Fenster sitzen darf und wer auf dem Gang bleiben muss. Man kann leider die Ohren nicht verschließen, vor der Dummheit der Mitreisenden und fühlt sich dabei seltsam mickrig.

Den eigenen Körper einer ehemals staatlichen Transportgesellschaft anzuvertrauen, hinterlässt eben das schale Gefühl der Unselbstständigkeit. Aber so sehr man als Kind auch die eigene Familie hasste, so wenig konnte man doch von ihr los. So ist es auch mit der Eisenbahn. Man ist den Launen dieses riesigen, ewig kränklichen Organismus ausgeliefert. Auch wenn man die Contenance des erwachsenen Daseins beschwört, läuft man doch den Anschlusszügen hinterher. Man flucht über die Verspätungen, spricht mit sich selbst und friert.

Jede auf diese Weise vergeudete Minute, wiegt dann siebenmal schwerer als die Stunden, die man im Stau verbracht hat. Morgen schon, so schwört man sich, werde ich das alles hinter mir lassen. Ich werde mein Auto besteigen und dorthin fahren wo es mir beliebt. Niemand wird mich aufhalten. Denn in meinem Fahrzeug, bin ich nicht nur der Lockführer, ich mache auch den Fahrplan und habe eine unverfallbare Platzreservierung. Morgen.

Aber weil ich nun schon viele Jahre mit mir selbst zubringe, habe ich das alles natürlich geahnt. Ich habe vorgesorgt. Meine Fahrkarten sind für drei Monate im Voraus bezahlt und ich habe allen Kollegen ausführlich dargelegt, welche Vorteile der öffentliche Personenverkehr bietet. Ich kann also nicht zurück. Manchmal muss man sich eben zu seinem Glück zwingen.
Matthias Gerhards 6. Jan, 22:03 | 8 Kommentare - Kommentar verfassen

back on a train

Im Englischen sagt man: „on a train“. Man ist also auf einem Zug und nicht in einem Zug. Es klingt, als wäre man mit einem offenen Güterwagon unterwegs und säße nicht in einem stickigen Abteil.

Natürlich funktioniert die Sprache auf diese Weise nicht. Wer Englisch als Muttersprache spricht, wird deshalb während einer Zugfahrt keine anderen Gefühle entwickeln, als ein Deutscher, der in seiner ehemals staatlichen Eisenbahn hockt. Amerikaner empfinden möglicherweise anders. Aber das ist historisch bedingt, denn die Eisenbahn gehört zum Gründungsmythos des Landes. In Europa war sie immer nur ein neues Verkehrsmittel. Die Sprache ist an diesem Unterschied gänzlich unschuldig.

Aber dennoch klingt „on a train“ offener und weiter. So als hätte man den Himmel über sich und die ganze Welt vor sich. Und das ist vollkommen richtig. Jede Reise mit einem Zug (anders als mit einem Flugzeug) birgt die Möglichkeit überall hin zu kommen. Darin liegt aber auch die Gefahr auf Abwege zu geraten, denn am Ende könnte man an einem vollkommen unbekannten Ort standen. In Husum, Unkel oder Rom. Man muss nur wollen.

Warum erzähle ich das alles eigentlich? Ach ja! Seit gestern fahre ich mit der Bahn zur Arbeit. Ich sitze zwar im Großraumabteil, aber es ist dennoch eine Befreiung. Endlich habe ich Zeit für die wichtigen Dinge des Tages. Ich kann schreiben oder lesen, redigieren oder mit der Liebe telefonieren. Wenn man den Hin- und den Rückweg zusammen zählt, bin ich um zwei Stunden reicher geworden. Ich habe 120 Minuten Freiheit gewonnen, die ich in einem Zug zubringe.
Matthias Gerhards 4. Jan, 06:58 | 8 Kommentare - Kommentar verfassen

Von den Vorzügen der einseitigen Schiefstellung des Kopfes (nach Jean Paul)

Ich will, wenn es verziehen wird, den Leser
in die vier Pfähle meines Himmels einführen,
mögen auch sie einige taube Blüten
der Freude pflücken.
(Jean Paul, Das Glück auf dem linken Ohre
taub zu sein. Aus: Dr. Katzenbergers Badereise)


bild-schiefEines nachts während ich noch schlief, überfiel mich ein Zug. Das mag seltsam, klingen, aber es ist war. Es handelte sich nicht um einen D-Zug oder einen Bummelzug, auch nicht um einen Bremszug, sondern um einen Zugwind. Er gelangte aus noch ungeklärter Ursache in unser Schlafzimmer und befiel meinen Nacken. Weshalb er nur meine Halswirbelsäule erwischt hatte und nicht die meiner Liebe, wird wohl für immer ungeklärt bleiben. Jedenfalls spürte ich bereits in der Nacht eine seltsame Spannung und am Morgen, schien der Hals ein wenig steif zu sein.

Eigentlich nicht weiter schlimm. Aber schon während des Frühstücks begann sich der Kopf ein wenig zu Seite zu neigen. Angetrieben von dem seltsamen Spiel der Muskeln verstärkte sich die Schiefstellung derart, dass ich nun die Welt aus einer völlig neuen Perspektive betrachten kann. Da ich nun schon seit drei Tagen in den Genuss komme, meine Umgebung nicht mehr waagerecht zu betrachten, sondern aus einem Winkel von fünfundvierzig beobachten zu dürfen, habe ich inzwischen alle Vorzüge kennen gelernt, die dieser Zustand mit sich bringt. Sie erstrecken sich auf alle Bereiche des modernen Lebens und entfalten ihre Wirkung nicht nur bei der Selbstwahrnehmung, sondern auch in der Familie, beim Kunstgenuss und sogar in der Gesellschaft.

Aber beginnen wir am Anfang. Weil die Schiefhalsigkeit, nach Auffassung der Ärzte, auf eine Fehlsteuerung zurückgeht, die durch mein Zentralhirn (habe ich noch ein dezentrales?) ausgelöst wird, erhielt ich ungefragt und frei Haus eine ganze Palette von Drogen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass man sie an der nächsten Straßenecke für gutes Geld hätte veräußern können. Allerdings zog ich es vor, diese selig machenden Substanzen selbst zu mir zu nehmen, da ich über ein gutes Langzeitgedächtnis verfüge. Aus meiner Jugend ist mir ihre bewusstseinsverschönernde Wirkung noch recht gut in Erinnerung.

julian-lacht1In der Folge dieser Ereignisse, bemerkte ich recht bald, dass mein Zustand noch einige andere Vorzüge bot, die vor allem das Familienleben erleichterten. Die von allen Mitgliedern meiner gesellschaftlichen Keimzelle gefürchtete Miesepetrigkeit, war mit einem Schlag verschwunden. Mein jüngster Sohn schien von meiner Schräghalsigkeit gleich so begeistert, dass er mir ständig glucksende Bekundungen seiner Freude entgegen warf. Sein Glück steigerte sich geradezu ins Frenetische, wenn ich bei einer unachtsamen Bewegung lustig das Gesicht verzog.

Aber auch in vollkommener Ruhe barg meine Daseinsform noch ungeahnte Genüsse. Die Kunstwerke in unserer bescheidenen Behausung, wirkten plötzlich als seien sie mindestens zu einem Viertel von der Gnade eines Anselm Kiefer gesegnet worden. Denn dieser hat bekanntlich seinen ersten Ruhm eingeheimst, als er seine Werke auf den Kopf gestellt und auch in dieser Position aufgehängt hatte. So kann ich nun auch die langweiligsten Ausstellungen besuchen, die eigentlich nur für leiderprobe Abonnenten vorgesehen sind und erblicke nur die interessantesten Bildwerke.

Auch gesellschaftlich genieße ich das höchste Glück. Nämlich absolute Freiheit. Enervierende Veranstaltungen, kann ich nun kurzerhand absagen. Dazu gehören in meinem Fall Sylvesterpartys und Neujahrempfänge. Entschiede ich mich allerdings dennoch, meinen ungestalteten Leib ins Getümmel zu werfen, so gelänge es mir dank meiner Schiefhalsigkeit mühelos, die Aufmerksamkeit selbst der attraktivsten Damen zu erregen. Allerdings muss ich gestehen, dass es in diesem Fall leider auch bei der Erregung bleibe, denn Liegen gehört zu den Tätigkeiten, die mit meinem Zustand leider gänzlich unvereinbar sind. Dafür habe ich während der langen, schlaflosen Nächte, nun genug Gelegenheit, um humoristische Abhandlungen wie diese hier zu verfassen. Was angesichts meines ausgeprägten Wunsches nach Kreativität ein weiterer Vorteil ist.
Matthias Gerhards 2. Jan, 14:08 | 2 Kommentare - Kommentar verfassen

Kühlschrankkater (29.12.06)

kuehlschrankAls ich heute den Kühlschrank öffnete, überfiel mich jene nachweihnachtliche Katerstimmung, die sich unweigerlich jedes Jahr einstellt. Der Refrigator war trotz aller Anstrengungen an den Festtagen noch immer so voll, dass ich Mühe hatte auch nur ein frisch angebrochenes Glas mit Quittengelee unterzubringen (selbst gemacht versteht sich). Die Perlhühner hatten wir nach drei mäßig erfolgreichen Anläufen endlich vernichtete, auch der schwarze Trüffel war nahezu vollständig dezimiert. Aber es gab noch eine Lammkeule, deren das Haltbarkeitsdatum bereits drei Tage in der Vergangenheit lag, eine Pastete, die ich aus den Bratenresten angefertigt hatte, einen mittelgroßen Kürbis, ein Kilo ungarische Paprika, Auberginen und Zucchini sowie sieben Sorten Käse.

Ich mache mir nichts aus Autos, auch gesellschaftliche Ereignisse lassen mich weitgehend kalt und in der Regel kleide ich mich schäbig, weil ich es einfach nicht einsehe für eine Hose mehr als fünfzehn Euro zu bezahlen. Kürzlich fand ich mich sogar in einer Filiale einer Billigbekleidungskette wieder und war gerade dabei eine Hose für nur fünf Euro zu erwerben. Im letzten Augenblick hat mich meine Liebe zurückgehalten. Zum Glück, denn irgendwo muss Schluss sein. Ich investiere mein sehr bescheidenes Vermögen lieber in Lebensmittel und kann ohne Reue den Monatslohn eines osteuropäischen Handwerkers an der Käsetheke ausgeben.

Aber dieses Mal war ich zu weit gegangen. Im vorweihnachtlichen Kaufrausch hatte ich mich von den Verheißungen der Feinkostabteilung derart blenden lassen, dass der Kühlschrank selbst drei Tage nach dem Fest noch Mühe hatte seinen Zweck zu erfüllen. Nur auf der höchsten Stufe gelang es ihm noch seinen Dienst zu verrichten. Es war nicht zu übersehen. Ein nicht geringer Teil der Lebensmittel würde verderben. Egal wie sehr sich meine Liebe und ich auch weiterhin anstrengen würden. Wir hätten keine Chance. Sogar die Nachbarn haben wir schon um Hilfe gebeten. Aber auch in ihren Mägen und Kühlschränken war kaum noch Platz für das, was wir anzubieten hatten. Auch gelang es ihnen nicht, dem Rohmilchkäses und seinem Duft die gleiche Begeisterung entgegen zu bringen, wie ich es tue. Einige der Kostbarkeiten werden also unentrinnbar im Biomüll enden.

Es gibt nur ein Problem bei der ganzen Sache: Ich kann keine Lebensmittel wegwerfen. Die etwas ruppige Erziehung meiner Mutter hat in diesem Punkt ihre Wirkung nicht verfehlt. Wann immer etwas schlecht zu werden droht, fasse ich mir ein Herz und esse es kurzerhand auf. Auch Spuren von Schimmel oder Fäulnis können mich meistes nicht abhalten, denn ich bin auf dem Lande groß geworden. Und wenn ich nun den Inhalt des Kühlschranks betrachte, bin ich nicht sicher, ob es mir gelingen wird, meine Erziehung hinter mir zu lassen und die nächsten Tage ohne Lebensmittelvergiftung zu überstehen.
Matthias Gerhards 29. Dez, 08:42 | 2 Kommentare - Kommentar verfassen

Bodleian Library: Image Project

alexander021Es gibt Dinge, die ich zutiefst bewundere, weil sie mir völlig fremd sind. Dazu gehört ernsthafte Wissenschaft. Die Bodleian Library (das ist die Bibliothek von Oxford) hat einige hundert mittelalterliche Manuskripte faksimiliert und Seite für Seite digital ins Netz gestellt. Natürlich hoch aufgelöst.

Man hört geradezu die wissenschaftlichen Assistenten stöhnen, die einige tausend Buchseiten ablichten mussten. Eine Arbeit, die man sich stumpfsinniger kaum vorstellen kann. Aber Wissenschaft besteht zu 90% aus stupider Arbeit, die man mit einem unglaublichen Ernst ausführen muss. Deshalb haben sich die Forschung und ich auch niemals wirklich anfreunden können.

alexander011Leider ist das Book of Kells nicht darunter, das ich sehr bewundere. (Es liegt unpassenderweise auch im Trinity College in Dublin) Aber es ist ein unvorstellbarer Schatz, für Illustrationen, Lehrer, Mediävisten und verhinderte Mediävisten, so wie mich. https://image.ox.ac.uk/
Matthias Gerhards 27. Dez, 22:20 | 0 Kommentare - Kommentar verfassen
ältere Beiträge

famose letzte worte

Frau mit gans
also kleine kaff ist etwas hart mülheim an der ruhr...
Sascha (Gast) - 16. Apr, 13:59
Auf jeden Fall ist es...
Auf jeden Fall ist es eine Leistung sich da hinzustellen...
Matthias Gerhards - 31. Jan, 14:26
Dass die junge Dame nicht...
Dass die junge Dame nicht das perfekte Lösungsangebot...
iGing - 25. Jan, 18:59

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