Eine kurze Geschichte meiner Welt in sehr kleinen Teilen.

Der Roman


Gott ist kein Zigarettenautomat Matthias Gerhards
Knaus Verlag 2013
ISBN: 978-3-8135-0550-4

Die Presse:
“eine beachtliche, stilsichere und höchst unterhaltsame Schelmen-, Underdog- und Coming-of-Age-Geschichte”
FAZ 10.12.13

"Bücher die der Verlag als witzig anpreist, sind es meistens nicht. Dieses schon."
Playboy Okt. 13

"ein herzergreifend poetisches Buch, ohne schnulzig zu sein... ein witziges Buch, ohne flach oder geschmacklos zu sein."
www.stagecat.de

"Ein beeindruckender, ergreifender, dichter Coming-of-Age Roman, der die 80er Jahre aufleben lässt..." Evangelisches Literaturportal Jan 2014

neuere Beiträge

Der letzte Arbeitstag (30.06.06)

Dies ist der letzten Tag, den ich diesem Gebäude der Angst zubringe, das ich vier Jahre lang bewohnte. Als wären sie Diener eines tyrannischen Königs werden die Menschen in diesem Palast von der Furch regiert. Es geht nicht mehr um den Kopf, aber um das Haus, den Sportwagen, den Zweitwagen und die Rentenanteile. Die Zurückbleibenden beglückwünschen mich und freuen sich mit mir über meine neue Freiheit und blicken mir doch ein wenig verärgert hinterher, weil ich sie daran erinnere, dass sie jederzeit das Gleiche tun könnten.
Matthias Gerhards 30. Jun, 08:38 | 15 Kommentare - Kommentar verfassen

Unter dem Vulkan

Als wir die Fahrt nach Stromboli buchten, wo sich immerhin einer der wenigen noch aktiven Vulkane Europas befand, war ich fest davon überzeugt, dass es sich um eine Art Butterfahrt zum Feuerberg handeln würde. Mit einem Zwischenstopp beim Schwager des Kapitäns, der zufälligerweise am Zielort ein Souvenirgeschäft führt. Für einen Moment musste ich an den versoffenen Helden in Malcom Lorys Werk „Unter dem Vulkan“ denken. Ich zweifelte sofort an der Seetüchtigkeit unseres Bootführers. stromboli_ort Außerdem wurde ich die Vermutung nicht los, dass einer seiner Blutsverwandten den Vulkanausbrüchen mit einem Flammenwerfer und ein bisschen Feuerwerk auf die Sprünge helfen würde. Schließlich will man den Besuchern auch etwas bieten für ihr Geld.

Aber ich wurde enttäuscht. Es gab weder einen Schwager, noch einen Souvenirladen und der Kapitän war ein ausgesprochen sympathischer Mann. Er verhalf mir zu dem beeindruckendsten Naturerlebnis, das ich in den letzten Jahren erleben durfte. Sprachlos vor Staunen, konnte ich den Ausbruch eines Vulkans beobachten. Auch wenn es sich um ein Ereignis handelte, dass sich Nacht für Nacht wiederholte. In diesem Augenblick schien es mir, als würde sich der Berg allein mir offenbaren. Es war als hätte ich soeben die Vulkanologie erfunden. Aber während ich die Flammenfontäne betrachtete, die sich vor meinen Augen in den Nachthimmel erhob, fragte ich mich, weshalb dieser vielleicht dreißig Meter hohe Auswurf von geschmolzenem Gestein und Schwefelgas eine solche Wirkung auf mich hatte?
~
Der Stromboli bei TagErst später, auf der Terrasse meiner Ferienunterkunft sitzend, mit dem gedanklichen Abstand eines Tages, verstand ich was sich dort unter dem Vulkan ereignet hatte. Es war das Bewusstsein, dass jene Lava aus den Tiefen der Erde hervordrang und eine Macht repräsentierte, die größer und älter war als es die menschliche Rasse jemals sein würde. Es war die Gewalt der Schöpfung, die mich so ergriffen hatte, dass ich für den Rest der Fahrt sprachlos blieb und meinen Blick über das nächtliche Meer schweifen ließ. Selbst wenn es in diesem Universum keinen Gott gibt, so gibt es doch einen Schöpfung, deren Schönheit mich wortlos machen kann und deren Kraft mir gerade deshalb so erhaben erscheint, weil sie keinem übergeordneten Willen gehorcht und dennoch etwas hervorzubringen vermag, das so atemberaubend ist, wie ein Ausbruch des Stromboli bei Nacht.
Matthias Gerhards 27. Jun, 23:06 | 3 Kommentare - Kommentar verfassen

Die verlorene Prosa

Ein Roman ist wie ein Kind. Wenn ich einige Tage nicht an ihm gearbeitet habe, fehlt er mir. Es ist, als hätte ich einen Teil meines Lebens vergessen. Als könnte ich mich nicht mehr an meine eigene Kindheit erinnern. Und wenn ich ihm schließlich wieder begegne, kommt er mir seltsam erwachsen vor und ich finde, es gibt fast Nichts mehr hinzuzufügen.
Matthias Gerhards 27. Jun, 08:47 | 0 Kommentare - Kommentar verfassen

Es gibt sie doch, die interkulturelle Geschichtswissenschaft

Es scheint tatsächlich so etwas wie die Idee einer interkulturelle Geschichtswissenschaft zu geben, die sich mit historischen Vergleichen beschäftigt und den Fragen unserer immer kleiner werden Welt nachspürt. Aber eben nur die Idee. Google spukt gerade einmal drei Einträge mit genau diesem Stichwort aus und alle beziehen sich auf den gleichen Text.

Die Seite kündigt eine Veranstaltung der Uni München an. Interkultureller Strukturvergleich zwischen europäischer und chinesischer Antike. Eine Kooperation zwischen dem Geothe Institut in Hong Kong und der Hochschule der bayrischen Hauptstadt.

Die dort dargestellte Forschung "führt zu neuen Fragestellungen, fördert den interkulturellen Dialog und eröffnet einen Erfahrungsschatz, der in unserem Zeitalter, in dem geographische Trennung kein zwingendes Argument mehr darstellt, unverzichtbar ist." mehr

Vom Satzbau abgesehen, klingt das durchaus spannend. Leider war das schon 2003 und weitere Verweise auf Literatur oder Forschungsergebnisse waren auch nicht zu finden. Aber ich habe Frau Prof. Dr. Maria H. Dettenhofer angeschieben und bin gespannt was kommt.
Matthias Gerhards 21. Jun, 16:06 | 0 Kommentare - Kommentar verfassen

Die imaginäre Gründung der interkulturellen Geschichtswissenschaften

Gegen den Dom von Monreale wirkt Jazz Fusion wie ein lahmer Zock, wie eine triste Monokultur. Die Bronzetüren am Hauptportal wurden in Pisa hergestellt. Die Spitzbögen, die den Kreuzgang des angegliederten Klosters tragen, könnten ebenso die blaue Moschee in Istanbul umgeben und die Mosaike im Innenraum stammen von byzantinischen Künstlern, die eigens aus Konstantinopel eingeschifft wurden.

Die aus winzigen, gebrannten Kachel zusammen gesetzten Bilder bedecken fast jeden Zentimeter der Basilika und breiten mit großer Geste das biblische Standardrepertoire vor dem Betrachter aus. Aber was mich wirklich in Erstaunen versetzt hat, war nicht der verschwenderische Umgang mit Blattgold. Es war etwas, dass ich kaum in Worte fassen konnte. Es lag auf den Gesichtern der Figuren, in der Art wie sie sich in ihrem gekachelten Habitat zu bewegen schienen. Mit ihrem stilisierten, fast unpersönlichen Ausdruck gelang es ihnen doch wie lebendige, eigenständige Wesen zu wirken. Sie schienen das vergessene Glied zwischen der versunkenen griechischen Kultur, ihren byzantinischen Erben, der arabischen Welt und dem alten Europa zu bilden. Es schien, als habe hier, an diesem Punkt der einstige Nabel der Welt gelegen, an dem sich die großen Religionen und die Mächte der mittelalterlichen Welt trafen und für einige Jahre ihren Zwist begruben, um diese Kirche zu erbauen.

In dem kühlen Raum der Kathedrale, begann ich mich zu fragen, weshalb die Menscher dieser Insel für hundert Jahre in der Lage waren dem ewigen Gemetzel zu trotzen und ein solches Kunstwerk der Verschmelzung zustande zu bringen. Und noch im gleichen Augenblick fragte ich mich, ob es eine Wissenschaft gibt, die versucht dieser Frage auf den Grund zu gehen. Eine Zweig der Forschung, der diesen Momenten nachspürt, in denen die Zivilisationen ihre Kräfte bündeln und etwas Gemeinsames hervor bringen, statt im Stillen das nächste Pogrom vorzubereiten? Existiert eine interkulturelle Geschichtswissenschaft, die untersucht unter welchen Bedingungen Völker nicht nur friedlich koexistieren, sondern auch in der Lage sind etwas Besonderes zu leisten. Eine Forschung die es darauf anlegt zu konkreten Ergebnissen zu kommen, mit denen die Heutigen etwas anfangen können. Eine Geisteswissenschaft, die es wagt sich in die existierende Welt einzumischen, die uns hilft die Frage zu beantworten, wie wir mit der Herausforderung umgehen, dass unsere Welt auf wenige Flugstunden zusammengeschrumpft ist und der Kampf der Kulturen vor unserer Haustür und in unseren Schulen und mehr noch in unseren Köpfen stattfindet. Ich bin kein Intellektueller, ich weiß es wirklich nicht! Aber sollte es eine solche Art von Forschung nicht geben, wäre es höchste Zeit sie ins Leben zu rufen. In Monreale könnte Alles seinen Anfang nehmen - der Kongress zur Gründung, der interkulturellen Geschichtswissenschaften.
Matthias Gerhards 18. Jun, 23:19 | 4 Kommentare - Kommentar verfassen

The Ground Beneath Her Feet

"So I stand at the gate of the inferno of language, there's a barking dog and a ferryman waiting and a coin under my tongue for the fare."
(Salman Rushdie)

Gibt es einen deutschen Autor, der auf alle Ironie und Schlaumeierei scheißt und sich traut so etwas zu schreiben?
Matthias Gerhards 16. Jun, 07:44 | 0 Kommentare - Kommentar verfassen

Monreale - Die Geschichte hält den Atem an

Als ich nach einer Irrfahrt durch die staubigen Berge Siziliens die Piazza des Städtchens betrat, erwartete ich nicht etwas Besonders zu finden. Eingezwängt in Wohnhäuser und Cafes erhob sich der Dom wie ein riesenhafter Stier, der unter seinen Artgenossen kaum Platz fand. Zwischen der siebenhundert Jahre alten Fassade und den Häusern blieb kaum eine Handbreit; und wollte man den Dom vollständig umrunden, musste man entweder sehr asketisch oder sehr schmal gebaut sein. Es schien als hätten die Menschen dieser Gegend weniger Distanz zu ihrer Geschichte, als verdiene die Wäscherei an der Kirche oder die Trattoria gegenüber ebensoviel Respekt wie ein Bauwerk aus dem zwölften Jahrhundert.

Diese eigentümliche Identität mag vielleicht an der besonderen Historie der Insel liegen, auf der die verschiedensten Kulturen ihre Überreste hinterlassen haben, so dass man schon hoch in die Berge fahren muss, um der Vergangenheit des Landes zu entfliehen. Siziliens Geschichte ist eine Abfolge von Eroberungen. In vorgeschichtlicher Zeit siedelten die Sikaner an den Hängen des Monte Pellegrino, dann kamen die Phönizier und gründeten Panormos (Palermo), bis sie die schließlich von den Griechen verdrängt wurden, nach ihnen kamen die Römer, anschließend die Byzantiner (eigentlich auch wieder Griechen) und dann die Araber. Kurz und gut, Sizilien ist aufgrund seiner strategischen Lage im südlichen Mittelmeer von jeder mediterranen Macht erobert worden, die sich anschickte die Bühne der Geschichte zu betreten.

Sogar die Normannen haben sich an der Insel versucht und sie fast ein Jahrhundert lang beherrscht. Das ist lange her, aber ihre Bauten sind noch immer allgegenwärtig und versorgen kleine bedeutungslose Städtchen wie Monreale mit einem zuverlässigen Touristenstrom. Das ist besser als Tunfisch, der vor den Küsten der Insel gefangen wird, weil sich die Fremden leichter ausschlachten lassen als die Fische. Aber damit tue ich dem Land um des Wortspiels willen unrecht. Niemals bin ich in einem südlichen Land weniger belästigt worden als auf Sizilien.

Aber zurück zu den Normannen. Sie hatten bereits mit dem Angriff auf England im Jahre 1066 beweisen, dass sie unverwüstliche Schläger und noch bessere Mörder waren. Deshalb holten die Byzantiner sie ins Land, um die Araber zu vertreiben. Das taten die Gerufenen auch tatkräftig, als sie aber nach einigen Generation ihr Werk vollbracht hatten, wollten sie durchaus nicht mehr zurück, sondern gründeten das normannische Königreich Siziliens, das neben der Insel auch Neapel und ganz Süditalien umfasste.

Dieses Reich der Nordmänner, wurde von Einwanderern gegründet, die zwar raue Sitten pflegten, aber sehr wohl wussten wer hier die überlegene Kultur darstellte. Sie machten sich die Fähigkeiten der vorhandenen Bevölkerung zunutze und bauten ein im heutigen Sinne modernes Staatswesen auf, in dem nicht Religion oder die ethnische Zugehörigkeit den Ausschlag gaben, sondern die Erfahrung und die Kraft eines Menschen. Der Kanzler am Hofe des Normannenkönigs Roger II. kam aus England, der Flottenchef hatte zuvor in Konstantinopel gedient und der Geograf des Königs war einer der letzten Nachkommen Mohameds. Das Reich der französischen Wikinger markierte für ein kurzes Jahrhundert lang, eine jener seltenen Epochen kultureller Blüte und friedlicher Koexistenz, nach der wir uns heute so sehr sehnen. Die Geschichte hielt für einen kurzen Augenblick den Atem an, die Völker begruben ihren Streit und brachten eines der atemberaubensten Kunstwerke hervor, das uns das Mittelalter hinterlassen hat - den Dom von Monreale.
Matthias Gerhards 13. Jun, 08:48 | 9 Kommentare - Kommentar verfassen

Fernsehen in der Fremde (Sendung vom 18.05.06)

In der Wärme des sizilianischen Frühlingsabends tue ich, wozu ich sonst niemals Zeit habe: Ich schaue mir die Primetime Unterhaltung auf einem öffentlich-rechtlichen Fernsehkanal an. Jörg Pilava moderiert die Show: ‚Wie alt sind sie wirklich’. Dort geben Prominente ihr natürliches Alter preis und sollen im Laufe der Sendung ihr tatsächliches Alter erfahren. Zuerst dachte ich, es handele sich um eine Art Quizsendung, in der es um Jungendkultur, aktuelle Politik und Sportereignisse geht, bei der die anwesenden Probanden preisgeben müssen, wie wenig sie von der Realität der deutschen Jugend eigentlich mitbekommen und wie alt sie in Wirklichkeit im Kopf sind. Gemeint ist damit das Gehirn, also jener Denkapparat über den Augenbrauen!
Aber es ging nicht um Kultur, es ging um Anti-Aging, um die Kunst mit einem gesunden Lebenswandel möglichst lange jung auszusehen. Ziel des Spiels war es, die Lebensgewohnheiten der anwesenden dritten Prominentengarde zu erforschen und deren Tauglichkeit auf möglichst lange Jugendlichkeit zu prüfen. Mit von der Partie waren: Ulla Lalla Schmidt (die Gesundheitsministerin des Bundes), Jürgen Vogel (ein Schauspieler), eine Serientusse, deren Name ich vergessen habe, einer von den Wildecker Herzbuben und Jan Josef Liefers (angeblich auch ein Schauspieler) und der unverwüstliche Mike Krüger. Dazu gab es einen Anti-Aging Experten, der nicht wusste, dass er eigentlich schwul ist und es vermutlich auch nie erfahren wird, weil das Wissen eben die Benutzung des Gehirns zwingend voraussetzt, der aber in den Monaten nach der Sendung bestimmt seine zweite Millionen machen wird und sich dann für den Rest seines Lebens wundert, warum er reich ist, aber trotzdem keine Sex hat.
Nachdem ich meine Fassung halbwegs wieder gefunden hatte, fiel mir dazu nur ein Zitat von Eckhard Henscheid ein: „Hallo? Ist da wer Zuhause im Oberstübchen?“
Eine Ministerin und mindestens ein halbwegs guter Schauspieler setzen sich in eine Show, in der es ernsthaft darum geht, wie die Rentner, aus denen bald das ganze Land besteht, noch länger frisch aussehen, der Rentenkasse auf der Tasche liegen und den wenigen Jungendlichen auch noch ihr Aussehen streitig machen. Mit einer solchen Elterngeneration, ist Drogensucht doch eine unvermeidliche Reaktion auf den Alltag. Sind wir total verblödet? Merken wir überhaupt noch irgendetwas? Wundern wir uns noch, dass unsere Schüler glauben, dass die Stringtheorie die Lehre von der Harmonie der Saiteninstrumente ist und Goethes Räuber eine Ballade von einem schnauzbärtigen Typen, der so ähnlich heißt wie Brunnen... Genau Fontane! Nein, wir wundern uns nicht mehr, weil zwischen der Lektüre der neusten Ergebnisse der Anti-Aging-Forschung, den aktuellen Elektrogurkenmassagen zur besseren Durchblutung jener Schleimhaut, auf die ich an dieser Stelle auf Gründen der Pietät nicht näher eingehen will und dem letzten Wellnessurlaub unter dem Sauerstoffzelt in Bad Berleburg, bleibt irgendwie keine Zeit mehr, um mit dem Nachwuchs die ermüdenden Kämpfe auszufechten, die zum Erwachsenwerden störenderweise dazugehören. Außerdem fördern Aggression und Stress die Faltenbildung fast so stark wie Rauchen und Kinderkriegen im Allgemeinen. Und nicht zuletzt lassen die lieben Kleine einen sowieso immer alt aussehen, vor allem wenn sie helle im Kopf und anständig geraten sind.
Matthias Gerhards 8. Jun, 21:31 | 2 Kommentare - Kommentar verfassen

Palermo oder die Stiftung für bedrohte Kulturen (18.05.06)

Strassenaltar in Palermo Es gibt eine geheime Ordnung der Dinge, die selbst dann existiert, wenn alles im Chaos versinkt, wenn alle Vespas, Fiats und Piaggios gleichzeitig losfahren und zur Vermeidung eines drohenden Unfalls die Hupe betätigen und die Fischhändler auf dem Barlandó, dem größten Markt der Stadt, alle in einer langen Reihe, die gleichen riesenhaften Tunfische anpreisen und die Pallazi des Barock so zerfallen sind, dass zwar eine Restaurierung unmöglich scheint, die Bewohner sich davon aber nicht beeindrucken lassen und ihr Leben in allen Farben und Geräuschen auf ihrem Balkon ausbreiten. Diese Ordnung hat Palermo entdeckt.
Jene Stadt, bei deren Anblick Douglas Adams die unendliche Unwahrscheinlichkeits-Mathematik ersonnen hätte, wenn ihm die Idee nicht schon in einer Badewanne gekommen wäre. Sie ist ein Frontalangriff auf alle Sinne. Es riecht nach Tunfisch, Koriander und noch mehr Fisch, Gewürzen, Müll, Hundekot und dem Schweiß eines dunkelhäutigen, freundlichen Menschenschlages. Die Innenstadt ist mit Geschäften gepflastert, in denen man von der unvermeidlichen Caffettiera, über den Stützstrumpf, bis zum Kronleuchter alles bekommt, was für das Leben im südlichsten Zipfel Europas notwendig ist. Selbst die Altstadt wurde noch nicht in eine Flaniermeile umgewandelt, in der Gucci und Armani das Bild prägen und die Wohlhabenden pittoresk ihr Geld lassen können, sonst aber gepflegte Langeweile herrscht. In dem historischen Zentrum der Stadt gibt es eine Form von Leben, das man anderswo sucht wie die Mikroben auf dem Mars.
Der Markt in Palermo 02
<br />
Die Strassen sind bis spät in die Nacht bevölkert und die Sizilianer scheinen ein begnadetes Völkchen zu sein, wenn es darum geht sich eine steuerfreie Erwerbsquelle zu erschließen. Es gibt mehr fliegende Fischhändler als auf dem Pariser Großmarkt und auf unzähligen Ständen wird gegrillter Ziegendarm und eine undefinierte Sorte Fleisch angeboten, das dem europäischen Einheitsgaumen so sehr widerspricht, wie gebratene Hühnerfüße oder gebackener Leguan. Aber dieses Paradies der Lebendigkeit ist natürlich das Ergebnis von Armut und einer gewissen Perspektivlosigkeit, selbst wenn Sizilien längst nicht mehr dem Klischee des armen Südens genügt und man Ansiedlungen von moderner Industrie und sogar von Informationstechnologie beobachten kann. Die Exporteure des europäischen Einheitsgeschmacks scheuen sich dennoch ihre Investitionen, in der von den Wunden der Mafia gezeichneten Region abzuladen, weil die Kaufkraft der Parmelitaner den Aufwand nicht lohnt. Zudem scheint die eigene, sizilianische Kultur noch so präsent, dass der einzige McDonalds in Palermo hauptsächlich von amerikanischen Touristen frequentiert wird und gegen die Straßenköche und die Marktstände des Barlandó noch keine Chance hat. Noch nicht! Der Markt in PalermoAber das wird sich ändern und man darf nicht traurig darüber sein, denn den Menschen wird es besser gehen, wenn sie im geeinten Europa angekommen sein werden. Die Arbeitslosigkeit wird sinken, die Strassen werden sicherer und die Hochschulreife wird zum geregelten Schulabschluss. Erst kommt das Fressen, dann die Kultur.
Deshalb sollte man jetzt, in diesem Jahr seine Zelte in Palermo aufschlagen, um die kurze Zeitspanne zu genießen, die dem südlichsten Zipfel Europas noch bleiben, um sein eigenes Wesen auszuleben und die übrigen Völker der Erde mit seiner Andersartigkeit zu bereichern. Man sollte eine Stiftung einrichten, wenn schon nicht zum Schutz, dann doch wenigstens zur Dokumentation der zum Untergang verurteilten Kulturen dieser Welt, denn sie zu retten mag bei der einen oder anderen Tierart gelingen, die parmelitanische Zivilisation wird unrettbar verschwinden. Eine solche Einrichtung wäre ein Art WWF für Traditionen, Bräuche und vor allem für die kulinarische Eigenarten, die der menschliche Geist hervorgebracht hat und die diesen Planten für immer verlassen werden.
Matthias Gerhards 6. Jun, 23:33 | 0 Kommentare - Kommentar verfassen

Der Weg nach Monreale (14.05.06)

Karte Palermo und UmgebungDas vulkanische Grollen in meinem Kopf hatte sich noch nicht ganz gelegt, als wir einen Tag später aufbrachen, um die Schätze der Normannen zu besichtigen. Mit einem genaueren, weniger vernebelten Blick auf die Karte hätten wir die Kleinstadt Monreale wahrscheinlich nach kaum einer Viertelstunde erreicht. Aber die Beschriftungen auf unserem Plan waren mehr als undeutlich und so vermuteten wir den Ort an der Landstrasse 503, die in Wirklichkeit ein Feldweg und die Ziffern die Höhenangaben eines Berges, des Monte Toretta waren.
Aus diesem Grund sind wir in Palermo konsequent an der richtigen Ausfahrt vorbei gefahren, haben die gesamte Stadt durchquert und uns schließlich verzweifelt an der westlichen Peripherie in die Berge geschlagen, um auf einer schmalen Passstrasse die gesamten 503 Höhenmeter abzuspulen, die unser Unglück ausgelöst hatten. Bevor wir die Spitze erreichen, führte unser Weg durch Torretta, das an den Hängen unseres Schicksalsberges lag. Auf der einzigen Strasse saßen die Alten auf ihren Stühlen und betrachteten uns mitleidig, während wir versuchten die Spiegel einzuklappen ohne den Motor abzuwürgen, da die Häuserwände immer näher rückten und die Dorfstrasse, um mehr als zwanzig Prozent anstieg. Niemand lachte. Als wir mit unserem unbeschädigten Mietwagen endlich jenseits des Ortes die Anhöhe erreichten, ging unser Blick über die Berge, die von Ginster, Pinien und Olivenhainen überwuchert wurden bis hinab zum Meer, das allen Kläranlagen zum Trotz smaragdgrün in der Sonne schimmerte. Dann fiel die Strasse wieder ab und suchte sich ihren Weg zurück bis an die Küste.
Als wir schließlich wieder in Palermo landeten, weil auf Sizilien scheinbar alle Strassen zurück in die Hauptstadt führen, hatten wir unseren Irrtum endlich begriffen und versuchten zu wenden. Aber auf der dreispurigen Stadtautobahn, auf der sechs Autos nebeneinander Platz finden, kam die Änderung der Fahrrichtung einer Weltumsegelung gleich und so hatten wir uns nach kaum fünf Minuten wieder verfahren und landeten in einer düsteren Vorortsiedlung am Rande eines Industriegebietes, das in den fünfziger Jahren erbaut worden war und seitdem brach lag. Schließlich schlugen wir alle Befürchtungen in den Wind, stiegen aus und fragten zwei Straßenköche nach dem Weg. Sie spießten gerade Ziegendärme und das Bauchfleisch von Schafen auf hölzerne Stäbchen und brieten das Ergebnis über einem Holzkohlefeuer. Erst einige Tage später klärte uns der Reiseführer darüber auf, dass die Beiden keineswegs ihre Nachbarn zu Geld machten, sondern eine sizilianische Spezialität zubereiteten, die an jeder Ecke Palermos zu haben ist. Die Freiluftköche jedenfalls erteilten ihre Auskunft ohne ihre Tätigkeit zu unterbrechen und führten uns mit der in Sizilien üblichen schnörkellosen Freundlichkeit auf den richtigen Weg. Nachdem wir mehr den Handzeichen als dem rauen Dialekt folgend die richtige Aus-fahrt gefunden hatten, erreichten wir kaum zehn Minuten später Monreale, ein kleines Städtchen ohne Steilhänge und Grillfeuer, welches uns lehrte, dass man sich auf Sizilien noch immer links in die Büsche schlagen kann, wenn man vom rechten Pfad abgekommen ist.
Matthias Gerhards 1. Jun, 23:31 | 9 Kommentare - Kommentar verfassen

Sizilien 2006: Ankunft im Mondschein oder die wundersame Erkenntnis der Migräne (12.05.06)

sizilien_01_flughafenAls wir nach kaum drei Stunden Flugzeit ganz Europa überquert hatten, drosselte die Boing 737 ihre Triebwerke und senkte sich wie ein Segelflugzeug in die Dunkelheit des thyrrenischen Meeres hinab. Es war Nacht, aber die Umrisse der Bucht von Palermo zeichneten sich deutlich gegen die bläuliche Dunkelheit des Wassers ab. Darüber erhob sich der Monte Pellegrino, als wache er über die Stadt, die sich lichtgesprenkelt und schlafend in die Rundung der Erde schmiegt.
Als ich die Flugzeugtreppe hinunter gegangen war und den Boden Siziliens betrat, stieg mir der Duft der Pinien in die Nase und vermischte sich dem Geruch von Asphalt, Kerosin und dem Aroma unreifer Zitronen. In diesem Augenblick schoss ein Migräneschub in meinen Kopf ein, wie die Milch in die Brüste einer jungen Mutter. Der Schmerz verlangsamte mich, so dass ich mit einem Mal meinen eigenen Gedanken folgen konnte und sein unvorbereitetes Auftauchen machte mir Eines klar: Was immer ich auch in diesem fremden Land tun würde, ich würde keinen Urlaub von mir selbst bekommen.
Matthias Gerhards 29. Mai, 22:39 | 0 Kommentare - Kommentar verfassen

Der Roman ist natürlich nicht fertig geworden...

...und die Technik hat auch versagt. Aber das war zu erwarten. Schwerer wiegt die Tatsache, dass ich zusätzlich noch einige Umwege in die Handlung einbauen musste, so dass ich jetzt noch mindestens einhundert Seiten zu schreiben habe (vierhundert sind schon fertig). Das geht jetzt schon seit zwei Jahren so, langsam habe ich keine Lust mehr...

Dafür habe ich einige meine unmaßgeblichen Eindrücke von der größten Insel des Mittelmeers festgehalten und werde sie in den nächsten zwei Wochen hier abladen. Diesmal gibt es sogar einige Bilder dazu. Meine visuellen Fähigkeiten sind zwar begrenzt, aber das hat mich dieses Mal nicht aufgehalten, denn in den Zeiten der Digitalkamera darf der Unbegabte sein Heil in der Masse suchen.
Matthias Gerhards 29. Mai, 09:19 | 2 Kommentare - Kommentar verfassen

Sizilien 2006: Sizilien rückt unaufhörlich näher (12.05.06)

Die nächsten zwei Wochen werde ich glücklich und zufrieden in Sizilien verbringen und den wahnwitzigen Versuch unternehmen, meinen Roman zu Ende zu schreiben. Deshalb wird es ein wenig still um dieses Blog werden. Aber vielleicht gelingt es mir doch noch meine GPRS-Verbindung in Betrieb zu nehmen, dann gäbe es hier vielleicht einige Eindrücke aus den Tiefen des Südens. Aber selbst die Vodafone Hotline hilft momentan nicht weiter und der Flieger startet um 19:00 Uhr. Die Zeit wird also knapp.
Matthias Gerhards 12. Mai, 15:06 | 5 Kommentare - Kommentar verfassen

Mohnblumen (08.05.2006)

Als ich den Blumenladen betrat und den Mohn entdeckte, der in seiner runzeligen Schönheit, alle Weisheit der Blumen in sich zu vereinen schien, dachte ich sofort an deine Stimme, an die glatte Erhabenheit deiner Haut und an dein rosiges Geschlecht, an deinen Mund, an deine Küsse und den weißen Flaum auf deinen Wangen, nach dem ich mich so sehr sehnte, dass ich kein Wort mehr hervorbringen konnte und für die Schönheit der Verkäuferin mit ihrem hellen Lächeln gänzlich unempfänglich war. Schweigend zeigte ich auf den Mohn, dessen fliederfarbene, gelbe und rote Blüten grazil herab hingen. Eingedenk ihrer eigenen Schönheit witterte die Verkäuferin meine Missachtung und bedachte mich wie ein Kind oder einen alten Mann mit beruhigenden Floskeln, die sie mit lauter, deutlicher Stimme vortrug. „Der Mohn, kommt aus Italien. Von der Blumen Riviera. Er wächst unter schwarzen Tüchern, weil er keine Sonne verträgt.“ Ich nickte, bezahlte, nahm die Blumen in Empfang und fühlte mich augenblicklich wie eine in der Dunkelheit gewachsene Mohnblüte und trat blinzelnd in das Sonnenlicht eines langen, einsamen Tages, den ich damit zubringen würde auf deine Rückkehr zu warten.
Matthias Gerhards 9. Mai, 09:33 | 3 Kommentare - Kommentar verfassen

Harold Brodkey (06.05.2006)

Ich kann es nicht leiden, wenn sich Künstler mit dieser Aura des genialischen Realismus umgeben und wie nebenbei dem Leser ihre Wortschöpfungen unterjubeln, als wären sie Ostereier aus der hart gekochten Schule des Lebens.
Matthias Gerhards 6. Mai, 19:31 | 0 Kommentare - Kommentar verfassen

Maiterror (01.05.2006)

Ich weigere mich über den Mai zu schreiben. Er ist ein kitschiges Wackelbild ohne Schnee. Mit seinem weich gezeichneten Licht, das in billigen Kalendern nicht schlechter abgelichtet werden könnte, erzeugt er nichts als Allerweltsgefühle. Der Gesang seiner Lerchen, die orgelnde Rückkehr der Gänse, sogar die Amseln sind eine einzige Ausgeburt seines schlechten Geschmacks. Von den Menschen und ihren Gefühlen möchte ich ganz schweigen, denn man kann keine Zeile über ihn schreiben ohne in jenes Schwärmen zu verfallen, bei dem man sich selber nicht zuhören mag. Das Einzige was man tun kann, ist seine Nachmittagsluft in einer unbeschrifteten Schachtel einzufangen und sie aufzuheben und zu vergessen. Dann könnte man sie wieder entdecken, wenn im staubigen Licht des Septembers der Dachboden entrümpelt wird oder der Keller. Dann wäre er eine Erinnerung, bei der man einen Augenblick lang verweilt, um sie schließlich für sich zu behalten.
Matthias Gerhards 1. Mai, 22:25 | 7 Kommentare - Kommentar verfassen
ältere Beiträge

famose letzte worte

Frau mit gans
also kleine kaff ist etwas hart mülheim an der ruhr...
Sascha (Gast) - 16. Apr, 13:59
Auf jeden Fall ist es...
Auf jeden Fall ist es eine Leistung sich da hinzustellen...
Matthias Gerhards - 31. Jan, 14:26
Dass die junge Dame nicht...
Dass die junge Dame nicht das perfekte Lösungsangebot...
iGing - 25. Jan, 18:59

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