Von den Vorzügen der einseitigen Schiefstellung des Kopfes (nach Jean Paul)
Ich will, wenn es verziehen wird, den Leser
in die vier Pfähle meines Himmels einführen,
mögen auch sie einige taube Blüten
der Freude pflücken.
(Jean Paul, Das Glück auf dem linken Ohre
taub zu sein. Aus: Dr. Katzenbergers Badereise)
Eines nachts während ich noch schlief, überfiel mich ein Zug. Das mag seltsam, klingen, aber es ist war. Es handelte sich nicht um einen D-Zug oder einen Bummelzug, auch nicht um einen Bremszug, sondern um einen Zugwind. Er gelangte aus noch ungeklärter Ursache in unser Schlafzimmer und befiel meinen Nacken. Weshalb er nur meine Halswirbelsäule erwischt hatte und nicht die meiner Liebe, wird wohl für immer ungeklärt bleiben. Jedenfalls spürte ich bereits in der Nacht eine seltsame Spannung und am Morgen, schien der Hals ein wenig steif zu sein.
Eigentlich nicht weiter schlimm. Aber schon während des Frühstücks begann sich der Kopf ein wenig zu Seite zu neigen. Angetrieben von dem seltsamen Spiel der Muskeln verstärkte sich die Schiefstellung derart, dass ich nun die Welt aus einer völlig neuen Perspektive betrachten kann. Da ich nun schon seit drei Tagen in den Genuss komme, meine Umgebung nicht mehr waagerecht zu betrachten, sondern aus einem Winkel von fünfundvierzig beobachten zu dürfen, habe ich inzwischen alle Vorzüge kennen gelernt, die dieser Zustand mit sich bringt. Sie erstrecken sich auf alle Bereiche des modernen Lebens und entfalten ihre Wirkung nicht nur bei der Selbstwahrnehmung, sondern auch in der Familie, beim Kunstgenuss und sogar in der Gesellschaft.
Aber beginnen wir am Anfang. Weil die Schiefhalsigkeit, nach Auffassung der Ärzte, auf eine Fehlsteuerung zurückgeht, die durch mein Zentralhirn (habe ich noch ein dezentrales?) ausgelöst wird, erhielt ich ungefragt und frei Haus eine ganze Palette von Drogen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass man sie an der nächsten Straßenecke für gutes Geld hätte veräußern können. Allerdings zog ich es vor, diese selig machenden Substanzen selbst zu mir zu nehmen, da ich über ein gutes Langzeitgedächtnis verfüge. Aus meiner Jugend ist mir ihre bewusstseinsverschönernde Wirkung noch recht gut in Erinnerung.
In der Folge dieser Ereignisse, bemerkte ich recht bald, dass mein Zustand noch einige andere Vorzüge bot, die vor allem das Familienleben erleichterten. Die von allen Mitgliedern meiner gesellschaftlichen Keimzelle gefürchtete Miesepetrigkeit, war mit einem Schlag verschwunden. Mein jüngster Sohn schien von meiner Schräghalsigkeit gleich so begeistert, dass er mir ständig glucksende Bekundungen seiner Freude entgegen warf. Sein Glück steigerte sich geradezu ins Frenetische, wenn ich bei einer unachtsamen Bewegung lustig das Gesicht verzog.
Aber auch in vollkommener Ruhe barg meine Daseinsform noch ungeahnte Genüsse. Die Kunstwerke in unserer bescheidenen Behausung, wirkten plötzlich als seien sie mindestens zu einem Viertel von der Gnade eines Anselm Kiefer gesegnet worden. Denn dieser hat bekanntlich seinen ersten Ruhm eingeheimst, als er seine Werke auf den Kopf gestellt und auch in dieser Position aufgehängt hatte. So kann ich nun auch die langweiligsten Ausstellungen besuchen, die eigentlich nur für leiderprobe Abonnenten vorgesehen sind und erblicke nur die interessantesten Bildwerke.
Auch gesellschaftlich genieße ich das höchste Glück. Nämlich absolute Freiheit. Enervierende Veranstaltungen, kann ich nun kurzerhand absagen. Dazu gehören in meinem Fall Sylvesterpartys und Neujahrempfänge. Entschiede ich mich allerdings dennoch, meinen ungestalteten Leib ins Getümmel zu werfen, so gelänge es mir dank meiner Schiefhalsigkeit mühelos, die Aufmerksamkeit selbst der attraktivsten Damen zu erregen. Allerdings muss ich gestehen, dass es in diesem Fall leider auch bei der Erregung bleibe, denn Liegen gehört zu den Tätigkeiten, die mit meinem Zustand leider gänzlich unvereinbar sind. Dafür habe ich während der langen, schlaflosen Nächte, nun genug Gelegenheit, um humoristische Abhandlungen wie diese hier zu verfassen. Was angesichts meines ausgeprägten Wunsches nach Kreativität ein weiterer Vorteil ist.
in die vier Pfähle meines Himmels einführen,
mögen auch sie einige taube Blüten
der Freude pflücken.
(Jean Paul, Das Glück auf dem linken Ohre
taub zu sein. Aus: Dr. Katzenbergers Badereise)

Eigentlich nicht weiter schlimm. Aber schon während des Frühstücks begann sich der Kopf ein wenig zu Seite zu neigen. Angetrieben von dem seltsamen Spiel der Muskeln verstärkte sich die Schiefstellung derart, dass ich nun die Welt aus einer völlig neuen Perspektive betrachten kann. Da ich nun schon seit drei Tagen in den Genuss komme, meine Umgebung nicht mehr waagerecht zu betrachten, sondern aus einem Winkel von fünfundvierzig beobachten zu dürfen, habe ich inzwischen alle Vorzüge kennen gelernt, die dieser Zustand mit sich bringt. Sie erstrecken sich auf alle Bereiche des modernen Lebens und entfalten ihre Wirkung nicht nur bei der Selbstwahrnehmung, sondern auch in der Familie, beim Kunstgenuss und sogar in der Gesellschaft.
Aber beginnen wir am Anfang. Weil die Schiefhalsigkeit, nach Auffassung der Ärzte, auf eine Fehlsteuerung zurückgeht, die durch mein Zentralhirn (habe ich noch ein dezentrales?) ausgelöst wird, erhielt ich ungefragt und frei Haus eine ganze Palette von Drogen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass man sie an der nächsten Straßenecke für gutes Geld hätte veräußern können. Allerdings zog ich es vor, diese selig machenden Substanzen selbst zu mir zu nehmen, da ich über ein gutes Langzeitgedächtnis verfüge. Aus meiner Jugend ist mir ihre bewusstseinsverschönernde Wirkung noch recht gut in Erinnerung.

Aber auch in vollkommener Ruhe barg meine Daseinsform noch ungeahnte Genüsse. Die Kunstwerke in unserer bescheidenen Behausung, wirkten plötzlich als seien sie mindestens zu einem Viertel von der Gnade eines Anselm Kiefer gesegnet worden. Denn dieser hat bekanntlich seinen ersten Ruhm eingeheimst, als er seine Werke auf den Kopf gestellt und auch in dieser Position aufgehängt hatte. So kann ich nun auch die langweiligsten Ausstellungen besuchen, die eigentlich nur für leiderprobe Abonnenten vorgesehen sind und erblicke nur die interessantesten Bildwerke.
Auch gesellschaftlich genieße ich das höchste Glück. Nämlich absolute Freiheit. Enervierende Veranstaltungen, kann ich nun kurzerhand absagen. Dazu gehören in meinem Fall Sylvesterpartys und Neujahrempfänge. Entschiede ich mich allerdings dennoch, meinen ungestalteten Leib ins Getümmel zu werfen, so gelänge es mir dank meiner Schiefhalsigkeit mühelos, die Aufmerksamkeit selbst der attraktivsten Damen zu erregen. Allerdings muss ich gestehen, dass es in diesem Fall leider auch bei der Erregung bleibe, denn Liegen gehört zu den Tätigkeiten, die mit meinem Zustand leider gänzlich unvereinbar sind. Dafür habe ich während der langen, schlaflosen Nächte, nun genug Gelegenheit, um humoristische Abhandlungen wie diese hier zu verfassen. Was angesichts meines ausgeprägten Wunsches nach Kreativität ein weiterer Vorteil ist.